Museumsmaterial am Beispiel der Grabläufer. Alle Rechte vorbehalten Michael Balkenohl

Ein Beispiel für den herausragenden Wert von altem Museumsmaterial

EVB-Vorstandsmitglied Michael Balkenohl hat in einem fast hundertseitigen Werk eine Artengruppe der Clivina (Grabläufer, Laufkäfer) aufgrund von Museumsmaterial revidiert. Hunderte von Stunden mit akribischen Recherchen und die Untersuchung von fast tausend Käfern waren nötig, um die Arbeit abzuschliessen. Die Monographie beinhaltet einen neuen Bestimmungschlüssel, Wiederbeschreibungen und die Beschreibung 13 neuer Arten. Eine davon trägt zu Ehren von EVB-Ehrenmitglied Christoph Germann den Namen Clivina germanni. Germann hat Balkenohl bei seiner Arbeit tatkräftig unterstützt. Grundlegend für die Arbeit war das Vorhandensein und der Zugang zu altem Museumsmaterial. Die Arbeit ist ein offensichtliches Beispiel für die Bedeutung von Belegsammlungen, welche zu oft in Frage gestellt wird.

Unter den zahlreichen Grabläufer-Arten (Carabidae, Scaritinae) existiert eine asiatische Clivina Gruppe, bei der die verfügbaren Bestimmungsschlüssel im Gegensatz zu den Originalbeschreibungen fast immer nur zu einer Art führten. Dies war aus zwei Gründen verwunderlich: Das Vorkommen erstreckt sich fast über ganz Asien mit all den verschiedenen Klimaregionen und Inseln, und unter dem Bestimmungsmaterial konnten deutliche Artunterschiede festgestellt werden. Weil unter zahlreichen Exemplaren aus vielen Sammlungen trotz sichtbarer Unterschiede immer derselbe Artname zu finden war, wurde klar: irgendetwas ist hier nicht stimmig und bedarf wohl der Korrektur.

Museumsmaterial als Basis einer Revision

Für den Scaritinae-Spezialisten Michael Balkenohl war dies Anlass genug, der Sache auf den Grund zu gehen. Ihm war klar, dass in solchen Fällen der einzige Weg über eine genaue Prüfung des sogenannten Typenmaterials führt. Das sind die Exemplare, die den Erstbeschreibern vorlagen. Sie sind die Referenzexemplare und werden heute Holo- und Paratypen genannt. Es war von Anfang an klar, dass diese alten Exemplare auf viele unterschiedliche Sammlungen verteilt waren. Deswegen war die Arbeit auf fünf Jahre angeplant worden. Durch die Corona bedingte „relative Exkursionsarmut“ der vergangenen 16 Monate war aber erzwungenermassen so viel Zeit übrig geworden, dass die Arbeit in etwas mehr als drei Jahren abgeschlossen werden konnte. Schwierig war dabei, die Exemplare in Europa zu orten, dann auch manchmal gegen längere und ausdauernde Widerstände schlussendlich ausgeliehen zu bekommen, um sie dann im direkten Vergleich untersuchen zu können. Die „Typen“ waren über 17 Museen und eine Privatsammlung verteilt. Auf die Exemplare des Museums Stettin musste verzichtet werden, weil die Sammlung im zweiten Weltkrieg zerstört worden ist. Viele der untersuchten Arten wurden zwischen 1846 und 1866 beschrieben. Die Referenzexemplare (Typen) sind also ca. 170 Jahre alt.

Museumsmaterial hilft Fehler korrigieren

Vor 95 Jahren war eine Reihe der beschriebenen Arten aus unterschiedlichen Gründen von englischen Entomologen synonymisiert worden. Diese hatten zum grösseren Teil das Typenmaterial nicht untersucht. Die Folge war, dass die Bestimmungsschlüssel anschliessend fast immer nur zu einer Art führten. Dass die Synonymisierungen falsch waren, konnte von Michael Balkenohl nun Schritt für Schritt widerlegt werden. Dabei hat sich wieder einmal gezeigt, wie wertvoll altes und gut kuratiertes Museumsmaterial für eine exakte taxonomische Aufarbeitung und Aufräumarbeit ist.

Eine Art exemplarisch herausgepickt

Der Naturforscher und akribische Sammler Jan Vilém (Johann Wilhelm) Helfer hatte sich 1836 als junger Biologe mit seiner Frau einer Expedition angeschlossen, die ihn bis nach Burma führte (heute Myanmar). Bei einem Abstecher zu den Andaman Inseln 1940 musste sich die Exkursionsgruppe vor Angriffen der Einwohner fluchtartig und schwimmend zum Schiff zurückziehen. Helfer wurde dabei von einem Pfeil getroffen und versank unauffindbar.

Die reiche Ausbeute an Pflanzen, Gesteinsproben, und Tieren mit tausenden von Insekten gelangte auf unterschiedlichen Routen nach Europa und wurde an verschiedenste Museen und Privatsammlungen verteilt, wobei die Dokumentation teilweise unklar blieb. Ein grosser Teil der 48’000 Käfer und 508 Schmetterlinge landete im Museum Prag.

Der Naturwissenschaftler Hermann Maximilian Schmidt-Göbel hatte sich mit einem Verleger vorgenommen, Käfer aus den Aufsammlungen Helfers auszuwerten und in 14 Bänden zu publizieren. Durch unglückliche Umstände konnte bereits die Erstellung des ersten Bandes nicht abgeschlossen werden. Die fertiggestellte erste Hälfte des ersten Bandes erschien 1846. Darin ist eine Clivina Art mit vier recht guten Kupferstichen abgebildet und ihr Name ist aufgeführt, C. clivinoides. Eine Beschreibung als Text ist nicht vorhanden. Die späteren englischen Autoren wussten bei ihren Synonymisierungen von keinen Exemplaren, die sie als Referenz hätten nutzen können.

2015 wurden bei Aufräumarbeiten im Museum München Bündel von halbpräparierten Herbarien gefunden, die aus den Aufsammlungen Helfers stammten. Die Pflanzen waren mit den aktuellen Originalzeitungen der Länder und Orte herbarisiert worden. Mit dieser bedeutenden Quelle gelang es Botanikern neben anderen Informationen, die Reiserouten Helfers mit den Fundorten in Myanmar aufzuklären (Wolcott & Renner, 2017).

Bei der Nachsuche im Museum Prag fanden sich nun mit dieser Quelle die Typen. Weil also die Referenzexemplare neben dem publizierten Namen und ausreichend guten Abbildungen vorhanden sind, konnte die Art wieder eindeutig zu vollem Artstatus erhoben werden (Status restituiert bzw. wiederhergestellt).

Weitere Information:
- Originalpublikation von Michael Balkenohl: Belgian Journal of Entomology 115: 1–83 (2021): Revision of the Clivina castanea species-group from Asia (Coleoptera: Carabidae: Clivinini)
- Profil von Michael Balkenohl auf ResearchGate

- Digitalisieren von Sammlungen – vernetzt in die Zukunft

Beitragsbild: Clivina agona Putzeys, 1866, stat. restit., eine der Arten, deren Status wiederhergestellt wurde. © Michael Balkenohl, Bonstetten, Schweiz.